Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Mainz

(08.09.2011)

Erinnerung an Alfred Epstein und Horst Symanowski


Sehr geehrter Herr Beutel,

wir wenden uns mit dem Anliegen an Sie, Sorge für eine angemessene bleibende Ehrung der beiden Mainzer Bürger Alfred Epstein und Horst Symanowski zu tragen.

Die Stadt Mainz hat in der Vergangenheit verschiedentlich bereits Verantwortung für ein ehrendes Gedenkens an bekannte Antifaschistinnen und Antifaschisten übernommen.

Am 8. September 2011 wäre Horst Symanowski 100 Jahre alt geworden. Am 3. Juli 2003 wurde er – zusammen mit seiner verstorbenem Frau Isolde post mortem – von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als »Gerechte unter den Völkern« in einer Feierstunde im Mainzer Rathaus geehrt weil er während des Faschismus in seiner damaligen ostpreußischen Heimat für verfolgte Juden Verstecke organisierte und sie so vor Verfolgung, KZ und wahrscheinlicher Vernichtung bewahrte. Nach der Befreiung vom Faschismus lebte er in Mainz und gründete das »Seminar für kirchlichen Dienst in der Industriegesellschaft«. Er wurde einer der einflussreichsten Theologen in kirchlicher Industrie- und Sozialarbeit und blieb seinem theologischen und humanistischen Leitbild vom mündigen Menschen treu; er lebte sein kirchliches und politisches Engagement als eine Einheit. Zeit seines Lebens setzte er sich für Frieden und Völkerverständigung ein und trat engagiert gegen Neofaschismus und undemokratische Entwicklungen auf. Die Vermittlung seiner Lebenserfahrungen an Jugendliche und die Ermutigung zu Courage und aufrechtem Gang gehörte zu seinem Lebenswerk – u.a. als langjähriger Vorsitzender der VVN-BdA Rheinland-Pfalz.
Horst Symanowski starb 97-jährig im März 2009 in Mainz.

Alfred Epstein wurde am 14. Januar 1903 in Mainz geboren, verlebte hier seine Kindheit und Jugend. Er war in der jüdischen Jugendbewegung aktiv, später auch Mitglied der SPD und engagierte sich im »Reichsbanner«, der sozialdemokratischen Schutzorganisation zur Verteidigung gegen Angriffe der stärker werdenden reaktionären und faschistischen Bewegungen. Am 30. Mai 1933 flüchtete Alfred Epstein zunächst nach Paris und war dort gezwungen, jede Arbeit anzunehmen. Er verpflichtete sich dort 1939 zur Französischen Fremdenlegion. Mit der Legion ging er nach Algerien, wo er, nun wieder Zivilist, ab 1940 in der Stadt Oran wohnte.

Anfang der 60er Jahre kehrte er nach Mainz zurück. 1966 wurde er für anderthalb Jahrzehnte Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Mainz, die damals weniger als hundert Mitglieder zählte. Alfred Epstein war Vorstandsmitglied im Zentralverband deutscher Verfolgter und Widerstandskämpfer und viele Jahre auch kommunalpolitisch aktiv.

Die alteingesessene Mainzer Familie Epstein fiel fast vollständig der faschistischen Vernichtung zum Opfer. Alfred Epsteins Vater und einer seiner Brüder wurden in Auschwitz und Theresienstadt ermordet, sein Bruder Erwin Epstein fiel als Interbrigadist im spanischen Bürgerkrieg.

Mit dem Namen Alfred Epstein ist ein neues selbstbewusstes Auftreten der Mainzer jüdischen Gemeinde, vor dem historischen Hintergrund einer weitgehend vernichteten tausendjährigen jüdischen Tradition von Magenza, verbunden. Er erhielt den Ehrenring der Stadt Mainz sowie das älteste Stadtsiegel in Silber und das Bundesverdienstkreuz.
Alfred Epstein starb am 6. März 1991 in Mainz.

Beide Mainzer Bürger haben der Vermittlung der Erfahrung des Faschismus, der Möglichkeit des Widerstandes und der Aufforderung zu Zivilcourage ihr Leben lang größte Aufmerksamkeit gewidmet. Mit dieser Haltung gewannen beide als ehemals Verfolgte und Angehörige des Widerstands vielfältigen Respekt und sie zählen damit zu herausragenden Vertretern ihrer Generation.

Angesichts vielfältiger Aktivitäten neofaschistischer Gruppen in Rheinland-Pfalz – im Mai 2009 gab es den Versuch einer öffentlichen faschistischen Demonstration in Mainz; Versammlungen und öffentliche Auftritte in Mainz und in der Region sind bekannt – halten wir es in hohem Maße für angebracht, dass die Stadt Mainz, als Landeshauptstadt sich anhaltend gegen diese Tendenzen engagiert. Die öffentliche Erinnerung an Menschen wie Alfred Epstein und Horst Symanowski ist besonders geeignet antifaschistische Information, Bildung und Bewusstsein zu fördern. Mit der Benennung einer Schule, öffentlichen Einrichtung, einer Straße oder eines Platzes hätte die Stadt Mainz die hervorragende Gelegenheit, offensiv gegen Tendenzen von Antisemitismus, Rassismus und der Verbreitung antidemokratischen Gedankengutes aufzutreten.

Wir, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Kreis Mainz-Bingen erlauben uns daher die Stadt Mainz und ihre gewählten Vertreter und Vertreterinnen aufzufordern, die Erinnerung an Alfred Epstein und Horst Symanowski wach zu halten und deren Lebenswerk durch eine angemessene und bleibende Erinnerung zu würdigen.

Wir sind gerne zu Gesprächen mit der Stadtverwaltung oder den Fraktionen des Rates bereit, um gemeinsam dieses Anliegen zu beraten. Gerne stellen wir auf Anfrage weitere umfassende Informationen über die Lebenswerke der beiden Mainzer Bürger zur Verfügung.

Wir bitten im Auftrag des SprecherInnenkreises der VVN-BdA Mainz-Bingen um wohlwollende Prüfung unseres Anliegens und verbleiben mit freundlichen Grüßen

VVN-BdA Mainz-Bingen


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