Redebeitrag der VVN-BdA zum 9.November 2008

Redebeitrag der VVN-BdA
zum 9. November 2008

Wir stehen hier, am Ort der ehemaligen Hauptsynagoge der jüdischen Gemeinde. Jedes Jahr erinnern wir an deren Zerstörung und an die Ereignisse, die den Pogromen voran gingen und die ihnen folgten. In diesem Jahr ist aber auch ein positives Ereignis zu begehen, das Ausdruck eines sich in Mainz weiterentwickelnden jüdischen Lebens ist. Noch diesen Monat wird der Grundstein für eine neue Synagoge gelegt werden, die hier errichtet werden soll. 70 Jahre hat es gedauert, bis nach der Zerstörung der Neubau der Synagoge in greifbare Nähe rückt. Schon allein das zeigt, dass dieses Gebetshaus und Gemeindezentrum mehr ist, als irgendein Ort zur Religionsausübung. Nachdem die jüdische Gemeinde über ein halbes Jahrhundert – seit 1952 – ihren Sitz in der Forsterstraße hatte, in einem Wohnhaus integriert, relativ versteckt, hat die neue Synagoge als deutlich sichtbarer Ausdruck jüdischen Lebens in Mainz auch eine starke symbolische Bedeutung.

Dies ist für uns Anlass, uns in diesem Beitrag näher der Geschichte und Bedeutung der Mainzer Synagogen zu widmen, die immer auch Ausdruck der gesellschaftlichen Stellung der jüdischen Gemeinde in der Stadt waren. Denn der Bau einer Synagoge stand stets im Spannungsfeld von Akzeptanz und Ressentiments von außen, was sich sowohl im Bauplatz, an dem die Synagoge genehmigt wurde, als auch architektonisch in der Gestaltung des Gebäudes niederschlug.

Der Synagoge z.B., die 1853 im ehemaligen Judenviertel gebaut wurde, gingen verschiedene Entwürfe des Mainzer Dombaumeisters Ignatz Opfermann voraus, die teilweise stärker orientalische, teilweise romanisierende Architekturelemente betonen. Salomon Korn - Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland - beschreibt diese Abwägung der Baustile als typisch. Da sich kein traditioneller eigener synagogaler Baustil entwickelt habe, seien bis ins 18: Jahrhundert die jeweils im Land vorherrschenden Baustile übernommen worden. Dies war auch eine Art Selbstschutz, da so die Synagogen von außen nicht als jüdische Bauten zu erkennen waren. In Salomon Korns Einführung »Wesen und Architektur der Synagoge« (1) schreibt er weiter: »Dies änderte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit den ersten Emanzipationsbestrebungen der Juden und einem zunehmenden Nationalbewußtsein der Deutschen. (...) die Wahl eines bestimmten Baustils hatte Bekenntnischarakter.« (S.16) Die Mischung orientalischer und abendländischer Bauformen bedeutete für die in ihrer gesellschaftlichen Stellung noch bedrohten Juden den Versuch einen eigenen, identitätsstiftenden Baustil zu finden und gleichzeitig ihre Zugehörigkeit zu Deutschland zu bekennen.« (S.17) Diskussionen um Anpassung oder Eigenständigkeit spielten auch in Mainz immer wieder eine Rolle. Da in die Synagoge von Ignatz Opfermann eine Orgel eingebaut wurde, die dem christlichen Ritus entnommen war, wurde der Bau einer zweiten Synagoge geplant, die sich dieser Anpassung verwehrte. Der Stadtbaumeister Eduard Kreyssig übernahm deren Gestaltung und 1879 konnte das neue Gotteshaus in der Flachsmarktstraße eingeweiht werden. Bei diesem imposanten Bau standen maurische Stilelemente im Vordergrund. Der Mainzer Anzeiger lobt den Architekten mit folgenden Worten: »Herr Stadtbaumeister Kreyssig (hat) (...) sich hier ein Denkmal seiner architectonischen Meisterschaft geschaffen«. (2) (S.87) Auch diese Synagoge wurde in den Novemberpogromen geplündert und zerstört. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es Überlegungen, die alte Synagoge von Ignatz Opfermann durch eine neue zu ersetzen.

Bis zu ihrem Bau waren aber noch einige Hindernisse zu überwinden. So gab es zunächst innerhalb der Gemeinde Bedenken, ob der Finanzierbarkeit und Notwendigkeit eines Neubaus. Doch das bisherige Grundstück bot wenig Raum für erforderliche Anbauten. Auch die Verhandlungen mit der Stadt gestalteten sich als schwierig. So wurde ein Antrag auf unentgeltliche Übereignung von Baugelände – wie es im Falle der Christus- und der Bonifatiuskirche geschehen ist – von der Stadt mit Hinweis auf die Zahl der Gemeindemitglieder abgelehnt und durch eine finanzielle Beihilfe für den Grundstückserwerb ersetzt. Auch bezüglich des Bauplatzes gab es Auseinandersetzungen. Als die jüdische Gemeinde 1910 erfuhr, dass der gewünschte Baugrund an der Rheinallee städtebaulich anders genutzt werden sollte, reagierte sie mit einem Protestbrief : »Nun erfahren wir zu unserer peinlichen Überraschung, dass auch das letztgenannte Projekt anderen Plänen geopfert werden soll und dass (...) überhaupt kein in Betracht kommender Platz zur Zeit zur Verfügung gestellt werden könnte, der nicht zu weit von der Stadtmitte entfernt wäre. (...) Wir glauben erwarten zu dürfen, dass eine derartige Zurücksetzung unserer Glaubensgemeinschaft weder von der Stadtverwaltung, noch von dem Stadtverordneten-Kollegium gebilligt wird.« (2) (S.95) Der Protest zeigte keine Wirkung. Das Realgymnasium und die Stadtbibliothek wurden an Stelle der gewünschten Synagoge erbaut. Schließlich konnte ein Bauplatz an einer als zentralen Erschließungsachse der Neustadt geplanten Straße erworben werden. Das Grundstück war noch zentral genug, um für alle Gemeindemitglieder erreichbar zu sein und vor allem außerhalb des ehemaligen Judenviertels. Letzteres war besonders wichtig. Die neue Synagoge wurde bewusst als »Symbol jüdischer Gleichberechtigung und jüdischen Bürgerstolzes« konzipiert.Bei der Einweihung 1912 wurde feierlich erklärt: »Wir wollen auch zeigen, dass wir bei diesem Festhalten an unserem Glauben deutsche Staatsbürger sind, die in Treue an ihrem geliebten Vaterland hängen und, unseren Mitbürgern gleich, Gut und Blut zu opfern jederzeit bereit sind, so wie uns auch der erste Grundsatz unserer Religion, der uns Toleranz gebietet, heilig ist.« (2) (S.104) Dem Weihgebet schloss sich das Gebet für die Obrigkeit, d.h. Kaiser und Großherzog an. Das Gebäude stand für einige Tage der Besichtigung durch die Bevölkerung offen, was rege in Anspruch genommen wurde. Die Synagoge war im Jugendstil errichtet und sollte neben der Christuskirche und dem Dom als städtebauliches Juwel die dritte wichtige Glaubensrichtung in Mainz symbolisieren. Die Lokalpresse feierte sie als »Beredtes Zeugnis für die Idee der Toleranz und Menschheitsverbrüderung.« Nur 26 Jahre später war im Mainzer Anzeiger zu lesen »Der Judentempel steht nicht mehr.«

Zwischen der Einweihung und der Zerstörung der Synagoge liegt der erste Weltkrieg, während dem viele jüdische Bürger tatsächlich ihr Blut opferten und wie so viele andere begeistert fürs Vaterland in die Schlacht zogen. Es hat ihnen nicht geholfen, als in den zwanziger Jahren die Nazis tiefliegende antisemitische Ressentiments wieder aufgreifen und nach ihrem Machtantritt Stück für Stück den Lebensraum der jüdischen Bevölkerung einengten. Sie wurden aus Berufen ausgeschlossen, mussten Vereine verlassen, durften sich politisch, wirtschaftlich und kulturell kaum mehr betätigen.

Hannah Arendt beschreibt die Bestürzung über die Akzeptanz dieser Maßnahmen unter der nichtjüdischen Bevölkerung so: »Die Frage der Moral tauchte erst mit dem Phänomen der Gleichschaltung auf. Diese Gleichschaltung war keine von der Angst genährte Heuchelei, sondern der sehr früh an den Tag gelegte Eifer, ja nicht den Zug der Geschichte zu verpassen. Über Nacht wandelten sich sozusagen aufrichtig die Ansichten, ein Wandel, von dem die große Mehrheit der öffentlichen Personen quer durch alle Schichten und Personen erfasst wurde, und welcher damals einherging mit einer unglaublichen Leichtigkeit, mit der lebenslange Freundschaften aufgekündigt und abgebrochen wurden. Kurz gesagt, was uns verstörte war nicht das Verhalten unserer Feinde, sondern das Verhalten unserer Freunde.«

Nach der Gleichschaltung, Stigmatisierung und Ausgrenzung wurde die Vernichtung vorbereitet. Diese wird symbolisch durch die Zerstörung der Synagogen und die Übergriffe auf die jüdischen Nachbarn am 9. November vorweggenommen. Der jüdischen Gemeinde und ihren Mitgliedern wurden die letzten ihr verbliebenen Schutzräume genommen. Drei Tage später am 12. November, wurde Juden per Dekret jede wirtschaftliche Tätigkeit untersagt und sie komplett aus allen Betrieben ausgeschlossen. Für jüdische Bürger – die noch im Sommer ihre Vermögensverhältnisse akribisch amtlich registrieren lassen mussten - wurde eine Sühnesteuer von 20% eingeführt, mit der Begründung, die Zerstörungen der Pogrome zu beseitigen.

Nach der Zerstörung der Hauptsynagoge 1938 zog die jüdische Gemeinde in ein gemeindeeigenes Haus in der Forsterstraße, das ihnen auch ab 1952 als Gemeindezentrum dient. Bei Kriegsende leben noch 62 Juden in der Stadt. Nur 24 kehren aus Theresienstadt zurück. Noch 1945 beschlossen 20 Menschen die Neugründung einer jüdischen Gemeinde. Die ersten Andachten werden zunächst in der Trauerhalle auf dem neuen jüdischen Friedhof abgehalten. Ende 1947 kann die provisorische Synagoge in der Turnhalle der Feldbergschule eingeweiht werden. Die Gemeinde ist mittlerweile auf über 70 Mitglieder angewachsen. Nach 5 Jahren konnte die Gemeinde in das Gemeindezentrum in der Forsterstraße umziehen, das als viergeschossiges Wohnhaus neu gebaut wurde und in dem Betsaal, Büro, Schulzimmer und das jüdische Altenheim eingerichtet wurden. Seit 1997 unterstützt der Förderverein »Eine neue Synagoge für Mainz« die Bestrebungen zum Bau einer neuen Synagoge und versucht diesen zu einem Anliegen der Öffentlichkeit von Mainz zu machen. 1999 wird ein Architektenwettbewerb ausgerufen. Doch die Realisierung des Neubaus gestaltet sich als schwierig. Ohne die Situation mit der um 1910 vergleichen zu wollen, drängen sich Parallelen auf. Ebenso wie damals stellt sich die Frage nach dem Baugrund. So schreibt die jüdische Allgemeine 2004: »Die Verhandlungen über das Grundstück ziehen sich in die Länge. Seit den sechziger Jahren gehört der Grund an der Hindenburgstraße dem Bund. Der hatte das Gelände von der Stadt übernommen, die es nach dem Krieg von der Gemeinde gekauft hatte. Die Ministerialbürokratie fordert jetzt, daß das Grundstück zu einem marktgerechten Preis zurückgekauft wird. »Doch dazu ist die Gemeinde nicht in der Lage« (...) Daß sich die Neubaupläne jetzt so lange hinzögen, läge an der allgemeinen schlechten Finanzlage von Bund und Land.« (3) Diese Hürden sind nun überwunden. Am 23. November wird hier der Grundstein für eine Synagoge gelegt, die in ihrer Gestaltung die Tradition, den Bruch und den Neuanfang zum Ausdruck bringen soll. Formgebend für das neue Gebäude sind die 5 Buchstaben des hebräischen Wortes für Segensspruch: Kedusha. Diese von außen zersplittert wahrgenommene, sich beim Vorübergehen ständig ändernde Fassade drückt die Zerstörungen und Verletzungen in der Geschichte aus. Der Architekt Manuel Herz versteht Architektur als gesellschaftskritische Instanz. »Denn ein Thema wie Architektur mit jüdischem Bezug ist von fundamentaler gesellschaftlicher und politischer Bedeutung. (...) Die Bundesrepublik braucht das institutionalisierte Experiment in Form »wilder« von erlaubter Regellosigkeit geprägter Bauten, um sich selbst ein neues, vom Schatten des Nationalsozialismus befreites Fundament zu schaffen.« (2) (S. 161) Dies ist die Hoffnung, die mit dem Bau dieser Synagoge symbolisch ausgedrückt wird. Dies ist eine Hoffnung, eine Forderung, die sich an die politisch Verantwortlichen, an die Bürgerinnen und Bürger, an die in Deutschland lebenden Menschen richtet. Ein vom Schatten des Nationalsozialismus befreites Fundament kann aber – entgegen all jenen, die von der Geschichte nichts »mehr« hören wollen, ja nie etwas hören wollten – nicht heißen, einen Schlussstrich zu ziehen und die Geschichte der Vergessenheit anheim fallen zu lassen oder sie einfach zu ignorieren. Es heißt im Gegenteil: Nicht weg- sondern hinsehen, die Geschichte verstehen wollen, die eben kein Naturphänomen ist, sondern von Menschen gemacht. Es heißt, zu begreifen, dass dieser »Schatten«, keineswegs historisch ist, sondern sich in Form von personellen und ökonomischen Kontinuitäten manifestiert und in rassistischen und antisemitischen Vorurteilen zum Ausdruck kommt. Sich vom Schatten des Nationalsozialismus zu befreien heißt allem leider auch aktuellem faschistischen Gedankengut und Handeln entgegenzutreten. Dass an dieser Stelle nach 70 Jahren eine neue Synagoge entstehen soll, ist ein wichtiger, ist ein guter Schritt. Die Architektur versucht hier Denkanstöße geben. Für das »vom Schatten befreite« Fundament aber, auf dem diese Synagoge stehen soll, sind wir alle mit verantwortlich.

Die Toten mahnen die Lebenden:
Antisemitismus entgegentreten!



Quellen:


1: Synagogen Rheinland-Pfalz – Saarland, Verlag Philipp von Zabern, Mainz am Rhein, 2005. Bearbeitung: Stefan Fischbach und Ingrid Westerhoff, herausgegeben vom Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz mit dem Staatlichen Konservatoramt des Saarlandes und dem Synagogue Memorial Jerusalem.

2: Die Mainzer Synagogen – Sonderheft der Mainzer Geschichtsblätter, herausgegeben von Hedwig Brüchert im Auftrag des Vereins für Sozialgeschichte Mainz e.V., Mainz 2008.

3: Artikel von Annette Kanishttp:
jgmainz.de/akt-synagoge.htm

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