9. November 2020
Ausstellung Trotz alledem
Redebeitrag des SprecherInnenkreises der VVN-BdA Mainz-Bingen zur Ausstellungseröffnung
Die Ausstellung, die am 9. November – wenn auch nur virtuell – eröffnet und über drei Wochen zu sehen sein wird, porträtiert Menschen, die in unterschiedlichen Formen gegen den deutschen Faschismus Widerstand geleistet haben.
Einige von ihnen gründeten nach der Befreiung die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, die sich in den siebziger Jahren auch für jüngere Menschen öffnete und seitdem den Zusatz – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) trägt. Sie wollten, dass die Verbrechen des Naziregimes nicht in Vergessenheit geraten und bezogen früh Stellung gegen personelle, ideologische und ökonomische Kontinuitäten.
Als Beispiel für personelle Kontinuitäten sei hier stellvertretend für Tausende aus allen gesellschaftlichen Bereichen der Kommentator der Nürnberger Rassegesetze und späterer Bundeskanzleramtschef unter Adenauer Hans Globke benannt.
Im Bereich der Wirtschaft möchten wir z.B. die Nachfolgekonzerne der IG-Farben benennen. Die IG-Farben unterhielten in Auschwitz ein eigenen Konzentrationslager, lieferten u.a. das Zyklon B für den Massenmord in den Gaskammern und waren einer der größten Profiteure des Krieges. Die Nachfolge dieses Konzerns traten u.a. Bayer, BASF und die Farbwerke Höchst an. Mit Verweis auf die außerdem noch weiterbestehende IG-Farben AG in Liquidation, die trotz alljährlicher Proteste von Überlebenden und jungen Antifaschistinnen und Antifaschisten bei den Aktionärsversammlungen in Frankfurt erst im Jahr 2012 endgültig aus dem Handelsregister entfernt wurde, konnten sich die anderen Nachfolgekonzerne ihre Verantwortung für Krieg, Zwangsarbeit und der Shoah weitestgehend entziehen.
Die ideologischen Kontinuitäten wurden schnell sichtbar: Der Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus konnte neben dem im Kalten Krieg wieder gegen die Sowjetunion eingesetzten Antikommunismus weiter gedeihen. Davon zeugen die bereits Ende der Vierziger Jahre wieder ansteigende Zahl der Schändungen jüdischer Friedhöfe sowie die Wahlerfolge z.B. der NPD Mitte der sechziger Jahre und der Radikalenerlass.
Die Erinnerung an die Verbrechen der Vergangenheit, die aufzeigte, wohin faschistische Ideologien führen, waren ein wichtiger Teil des Kampfes der Überlebenden gegen den immer gegenwärtigen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Sie kämpften für die Anerkennung der Verantwortung für die Vergangenheit als ersten Schritt, damit diese sich nicht wiederholen möge.
So stritten die VVN-BdA und ihre Mitglieder für die Kenntlichmachung von Orten, an denen Verbrechen begangen wurden. Beispielsweise für eine Gedenktafel am ehemaligen Konzentrationslager Osthofen, später für eine Gedenkstätte. Auch am ehemaligen Gestapogefängnis in der Kaiserstraße in Mainz konnte nach langen Verhandlungen 1990 (!) eine Gedenktafel angebracht werden.
An den Jahrestag der Reichspogromnacht, den 9. November 1938, erinnern wir seit Jahrzehnten. Denn die Reichspogromnacht hat unserer Ansicht nach eine besondere Bedeutung in der gesellschaftlichen Entwicklung, die mit der Entrechtung, Verhaftung, Folter und Ermordung jüdischer Menschen sowie der politischen Gegner des Faschismus begann und im Vernichtungskrieg, Massenmord und der Shoah endete.
Fünf Jahre nach der Machtübertragung an Hitler und der seitdem währenden Terrorherrschaft und Verfolgung aller anders Denkenden und zu unwert erklärten Menschen, verdeutlicht die Reichspogromnacht, dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung den Pogromen und der Gewalt gegen ihre Nachbarn wenig bis keinen Widerstand entgegenbringen würde. Die Mobilmachung war erfolgreich. Ein Jahr später wurde der Krieg begonnen.
Daher ist es uns wichtig, gerade am 9. November immer wieder daran zu erinnern, wie bedeutsam und notwendig jede Form von Widerstand war, der politisch Verfolgten oder von Antisemitismus und Rassismus entrechteten Menschen half, der die Verbrecher denunzierte und der der Gewalt Menschlichkeit und Solidarität entgegensetzte.
Wir als VVN-BdA Mainz-Bingen möchten Thilo Weckmüller und dem Projekt ‚Trotz alledem‘ danken für diese gelungene künstlerische Auseinandersetzung mit Menschen, deren Lebenswege auch für heute wichtige Fragen aufwerfen und deren Entscheidungen für uns, die Nachgeborenen, wegweisend und Vorbild sein könnten – oder besser: sein sollten.